Ein Kipppunkt (auch Tipping-Point genannt) ist ein Zeitpunkt, zu dem ein bisheriger Trend plötzlich abbricht, die Richtung wechselt oder stark beschleunigt wird. In der Soziologie beschreibt er auch jenen Zeitpunkt, zu dem eine Personengruppe ihr Verhalten schnell, radikal ändert. Die gewünschte Mobilitätswende stellt einen Kipppunkt dar, da der derzeitige Trend in Richtung steigender Motorisierung und CO2-Ausstoß durch eine Verhaltensänderung in der Mobilität umgekehrt werden soll.

Ausgehend von übergeordneten verkehrspolitischen Zielsetzungen und Klimazielen untersuchen wir, in welcher Art strukturelle Barrieren Möglichkeiten der verstärkten Diffusion von zielorientierten Maßnahmen zur Trendumkehr unterdrücken oder verzögern.

Transitionsprozesse im Verkehrssystem

Durch das vorherrschende Verkehrssystem wird der private Pkw gegenüber anderen Verkehrsmitteln vielfach bevorzugt und die Strukturen an ihm ausgerichtet. Dieses „Car-regime“ hemmt die Implementierung von klimawirksamen Maßnahmen und sorgt dafür, dass auch heute noch Infrastrukturen geplant und finanziert werden, welche nachweislich zu einer drastischen und kontinuierlichen Steigerung der CO2-Emissionen sowohl direkt als auch durch ihre verursachten Folgewirkungen und Rebound-Effekte führen.

Akteure in diesem „Car-regime“, wie beispielsweise politische EntscheidungsträgerInnen oder VerkehrsplanerInnen, sind in Strukturen eingebettet, die unterschiedliche Freiheitsgrade und Handlungsspielräume ermöglichen. Im Zuge des Projekts wurden fünf Fallbeispiele der Planungs- und Entscheidungsprozesse für Verkehrsinfrastrukturen in Österreich analysiert. Aus diesen ging hervor, dass sich die unterschiedlichen Interessenslagen der Akteure vor allem durch unterschiedliche Auswirkungen der Projekte auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene ergeben. Oft stehen überregionale wirtschaftliche Überlegungen den lokalen Auswirkungen entgegen. Dabei werden von den handelnden AkteurInnen kurzfristige ökonomische Aspekte für wichtiger erachtet als eine ökologische Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Lange Zeitverzögerungen zwischen Handlungen und Wirkungen reduzieren die Bereitschaft zur Aktivierung wirklicher Transformationsprozesse. Strukturelle Rahmenbedingungen eines auf langsame Veränderungen ausgerichteten politischen Systems erschweren weitreichende Reformen. Es gibt einzelne gute Ansätze, Prozesse in der Verkehrsplanung und -politik so zu gestalten, dass Maßnahmen unterstützt werden, die zur Mobilitätswende beitragen („Best“-Practice Beispiele). Diese Ansätze sind aber nach wie vor als Nischenentwicklungen zu kategorisieren, wenn sie, z. B. eingebettet in weiterhin nicht nachhaltige Entwicklungen einer Metropolregion, in der Stadt allein nicht die erforderlichen Wirkungen zur tatsächlichen Einleitung einer Mobilitätswende entfalten können.

Individuelle und vorurteilsspezifische Interpretation, Wertehaltung, Ausbildung, rechtliche Grundlagen (Regelwerke) und Indikatoren bestimmen die wahrgenommene Realität und was als Problem definiert wird. Ein beharrliches verfolgen der „falschen“ Ziele (Geschwindigkeit, permanente Kapazitätserweiterungen, etc.) führt zu zunehmender Abhängigkeit dieses “Regelhandelns” (“Lock-In”). Die erforderlichen Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Verkehrssystems sind bekannt. Im Zuge des Projekts wurden ergänzend Simulationen zu einer CO2-Steuer und einer Bewusstseinsänderung durchgeführt. Diese haben einmal mehr gezeigt, dass einzelne Maßnahmen nicht ausreichen um eine Trendwende zu verwirklichen, sondern dass es umfassende Maßnahmenbündel braucht, die unterschiedliche Faktoren adressieren, wie Preissignale, Angebotsverbesserungen und eine zusätzliche Veränderung des Bewusstseins. Dabei wurde auch deutlich, dass nicht nur bei der Umsetzung von Maßnahmen, wie sie im Sachstandsbericht gefordert werden, enorme Defizite in der Bereitschaft, dem politischen Willen und der Organisationsmacht zur Umsetzung existieren, sondern auch – wie an den Szenarien zur CO2-Steuer gezeigt werden konnte – eine realistische Einschätzung über die notwendige Maßnahmenintensität fehlt, um nur annähernd die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen. Die bereits quantifizierten Maßnahmen sollten rasch umgesetzt werden. Darüber hinaus sind jedoch weitere, auf Prozessstrukturen fokussierte Maßnahmen zu forcieren um eine tatsächliche Transformation zu initiieren.

Infografik: Transitionsprozess im Verkehrssystem